"Gästen wird kulinarisch wieder etwas zugetraut"

Der Küchenchef des Wirtshaus Ayinger am Platzl, Holger Lange, bereitet ein leckeres Gericht zu.

Wie sich aus einer Änderung der Mentalität eine Trendwende in der Gastronomie entwickelt hat.

Aus Übersättigung entwickeln sich zwangsläufig Gegentrends und aus diesen Gegentrends werden nicht selten ganze Bewegungen. So ergeht es gerade der Gastronomie – zum Glück, findet Holger Lange, unser Küchenchef der AYINGER WIRTSHÄUSER AM PLATZL und IN DER AU. Während es viele Jahre darum ging, schneller und billiger als die anderen zu sein, besinnen sich immer mehr Gastronomen zurück auf die traditionellen Werte der Branche. Was hat es mit diesem Umbruch auf sich? Holger verrät es uns.

 

Die Mentalität innerhalb der Gastronomie hat sich geändert. Worauf, denkst du, ist das zurückzuführen?

Es ist richtig, die Mentalität ändert sich, aber dabei steht die Gastro nicht isoliert dar. Man muss diesen Wandel im gesellschaftlichen Kontext sehen. Das Leben wird ja – bedingt durch die neuen technischen Möglichkeiten – in jeder Hinsicht schneller und chaotischer, weshalb man den Alltag immer mehr durchtaktet und optimiert. Mehr und mehr Menschen stellen das in Frage und sehnen sich nach Entschleunigung und Nachhaltigkeit, wenden sich handwerklichen Interessen zu und stillen damit das Bedürfnis nach Ausgleich und Bodenständigkeit. Die neuen Bewegungen in der Gastronomie sind sicher auf diesen allgemeinen Ruck durch die Gesellschaft zurückzuführen.

 

Interessant, du sagst also, der Umbruch in der Gastro folgt dem Bedürfnis der Menschen nach Ausgleich und Bodenständigkeit? Kannst du uns diesen Gedanken genauer erklären?

Es beginnt damit, dass Kochen ein Handwerk ist, dem theoretisch jeder nachgehen kann, der eine Küche hat. Die Leute kochen auch wieder mehr selbst zu Hause, und das liegt sicher auch daran, dass man beim Kochen erstens etwas kreiert und zweitens mit seinen Händen arbeitet. Wenn es dann schmeckt und vielleicht schön aussieht, spürt man eine große unmittelbare Genugtuung. Das alles bieten viele moderne Jobs am Computer nicht – das Kochen dient also als Ausgleich. Außerdem weiß man beim Selbstkochen, was später im Essen drin ist und muss keine Angst vor künstlichen Zusatzstoffen haben. Das ist nachhaltig und gesund. 

 

Wie überträgt sich das auf die professionelle Gastronomie?

Die wenigsten Hobbyköche besitzen, anders als motivierte professionelle Restaurantköche, die Techniken und Fähigkeiten oder den Zugang zu wirklich hochwertigen Lebensmitteln. Das wird den Hobbyköchen aber oftmals erst bewusst, nachdem sie sich zu Hause an komplexen Saucen, selbstgemachter Pasta oder raffinierten Desserts versucht haben. Mehr und mehr Gäste kommen deshalb nicht mehr nur mit Hunger, sondern auch Wissenshunger ins Restaurant. Sie sind viel besser informiert als früher, sie stellen Fragen, zeigen echtes Interesse an den Techniken, der Produktherkunft und dem kreativen Prozess. Das spornt wiederum die Küchenchefs und die Köche an, noch kreativer zu werden, Gerichte zu verfeinern und mit neuen Produkten und Techniken zu experimentieren. Durch dieses Wechselspiel entwickelt sich ein lange nicht mehr dagewesener gegenseitiger Respekt. Gästen wird kulinarisch wieder etwas zugetraut und kreative Köche werden wieder als die Künstler angesehen, die sie sind.

 

Wird dadurch auch das Berufsbild des Kochs und der Köchin wieder attraktiver?

Das ist auf jeden Fall zu beobachten. Kochen ist nun mal eine der wenigen Künste, die man wahrscheinlich nicht als brotlos bezeichnen würde, gleichzeitig aber in Sachen Kreativität der Malkunst oder der Dichtkunst in nichts nachstehen muss. Dadurch dass dieses künstlerische Potential mehr und mehr entfesselt wird, steigt die Anerkennung für das Berufsbild Koch oder Köchin. Auch wenn man es weniger romantisiert ausdrücken möchte, ist und bleibt Koch einer der wenigen Berufe, bei dem man alle Sinne einsetzt, was die meisten Menschen als zutiefst befriedigend wahrnehmen. Darüber hinaus öffnet die Kochausbildung einen für die Welt und für fremde Kulturen – vor allem junge Menschen vom Land geben diesen Grund gerne als Motivation für die Kochlehre an. Natürlich tragen auch populäre Kochshows mit ihren charismatischen Fernsehköchen einen maßgeblichen Teil zum Imagewechsel bei. Ambitionierte Jungköche bekommen so berühmte Vorbilder und der Traum vom eigenen Restaurant, der Kochbuchveröffentlichung oder gar einer eigenen Fernsehshow wird greifbarer. Als letzten Grund kann man noch angeben, dass sich die Stimmung in den Küchen einfach geändert hat. Die Zeiten der cholerischen Küchenchefs, der knallharten Hierarchien und des rauen Umgangstons sind zum Glück weitestgehend vorbei.

 

Merkt ihr denn in den AYINGER Wirtshäusern, dass der Wunsch Koch oder Köchin zu sein, wieder mehr wird?

Das kann man sagen: Im Moment beschäftigen wir zehn Koch-Azubis, drei sind in diesem Januar neu hinzugekommen. Nachwuchsprobleme haben wir also zum Glück nicht. Ich hoffe, das ist auch das Ergebnis unserer guten Arbeit und des guten Arbeitsklimas in beiden Wirtshäusern. Der Gewinn des Hospitality HR Award 2021 der Platzl Hotels, zu denen unsere Betriebe gehören, in der Kategorie „HR-Strategie, Individualhotellerie und Gastronomie“ ist für uns Nachwuchswerbung und Bestätigung zugleich, dass wir uns gastronomisch und unternehmerisch auf dem richtigen Weg befinden.

 

Du hast das Künstlerische als einen Grund, für die Entscheidung Koch zu werden, angesprochen. Stößt man bei der Wirtshausküche nicht schnell an seine kreativen Grenzen?

Es stimmt, dass die Wirtshausküche in erster Linie eine ehrliche, authentische und einfache Küche ist. Deswegen ist sie bei uns in den AYINGER Wirtshäusern aber keineswegs langweilig und engstirnig. Es braucht große Kreativität, um mit einfachen, lokalen und traditionellen Zutaten etwas Außergewöhnliches zu schaffen, das gleichzeitig das Original ehrt. Natürlich gibt’s bei uns den klassischen Schweinsbraten wie in allen anderen bayerischen Wirtshäusern auch, aber Gäste schmecken den Unterschied, wenn sie zu uns kommen. Es kommt auf die Nuancen an, und gerade in diesen drückt sich die Kreativität bei uns aus. Wir wollen mit jedem Gericht auch eine Geschichte erzählen und ein Lebensgefühl vermitteln. Die Gäste sollen die bayerische Lebensart in unseren Gerichten bewusst wahrnehmen – ein bisschen so wie eine Landschaft, die sie mit allen Sinnen durchwandern.

 

Vielen Dank, Holger für deine Zeit. Wir sind sicher, nach deinem brennenden Plädoyer werden auch im kommenden Jahr die Bewerbungen kommen und die Wirtshäuser voll sein.

Na, das will ich doch hoffen :-)